Wie macht man Reklame für Moderne Reklame?

Ulli Zahn

 

Wie macht man Reklame für Moderne Reklame? Am besten modern. Und da geht’s schon los. Was ist überhaupt modern? Laut Wahrigs Wörterbuch etwas, was der Mode, dem Zeit­geschmack entsprechend, zeitgemäß, neuzeitlich [frz. moderne, urspr. neu, neuzeitlich) ist. Aha.
Jetzt drängt sich natürlich noch eine weitere Frage auf. Was ist überhaupt Reklame? Das Anpreisen von Waren durch Plakate, Zeitung, Film, Funk, Werbung (frz. reclame, urspr. „bezahlte Buchbesprechung“, dann Anpreisung (von Waren), Werbung, Werbemittel“). Aha.

 

Das heisst, man sollte an dieser Stelle mit einer bezahlten Buchbesprechung auf neuzeitliche Weise ein Unternehmen anpreisen, dessen Name impliziert, dass es seine Dienste für das zeitgemäße Anpreisen von Waren anbietet… Blöd. Nochmal neu.

 

Wie macht man Reklame für Moderne Reklame? Am besten modern. Und modern werden doch zum Beispiel gerade wieder die 80er Jahre. Na also.

 

1980. Damals gab es weder DJ Bobo noch Celine Dion, im Gegenteil: Punk und New Wave breiteten sich über dem Kontinent aus, waren zunächst am Eisernen Vorhang abgeprallt und so nach Kassel geschwappt. Dort fand die Musik dankbare Zuhörer. Unter anderem fünf studentische Hilfskräfte der Fachrichtungen Grafik-Design und Fotografie an der Gesamthochschule. Diese fünf saßen nicht nur in ihren Lehrveranstaltungen, sondern auch zwischen den Stühlen. Was lernten sie hier eigentlich? Kunst? Werbung? Werbung als Kunst? Kunst als Werbung?

 

Sie beschlossen, sich zwischen den Stühlen einzurichten. Und gründeten eine Agentur, die Werbung und Kunst verbinden sollte. Beeinflusst von Punk und New Wave, der Neuen Deutschen Welle und dem damit einhergehenden 50er-Jahre-Revival nannten sie sich „Moderne Reklame“. Ein Name, der durchaus nicht eindimensional gemeint war: „Moderne“ wurde auch im kunsthistorischen Sinn verstanden, „Reklame“ als ironisches Zitat der 5Oer. Die fünf hätten sich auch AdArt nennen können oder ArtAd oder Partner und Partner ­— oder wie immer Agenturen sich zu nennen pflegten — Punk sei Dank taten sie es nicht.

 

Auch das erste Atelier war eine Hommage an die Wirtschaftswunderzeit — allerdings auf eher traurige Weise: Es war ein pleitegegangener Tante-Emma-Laden. Die ersten größeren Aufträge waren Wasser auf die Mühlen von Moderne Reklame: Einer kam aus der Werbung, einer aus der Kunstszene. Moderne Reklame entwickelte eine Plakatkampagne für den Tabakkonzern Philip Morris. Die Zigarette hieß „New York“, also fotografierte Moderne Reklarne typische New Yorker  Szenen. Nicht in New York, das konnte schließlich jeder ­— die Fotos entstanden in Kassel. Wenn man schon in einer Stadt lebt, in der das „Kaufhof“-Parkhaus aussieht wie das Guggenheim-Museum, dann muß man das nutzen… Die Texte zu den Motiven waren im coolen Raymond-Chandler-Stil abgefaßt, und die Philip-Morris-Leute waren äußerst angetan. Also, an der Werbung hat es jedenfalls nicht gelegen, dass die Zigarette nie auf den Markt gebracht wurde.
Das Projekt für die Kunstszene dagegen löste sich nicht in Rauch auf — die Besucher der Documenta 7 hielten es in den Händen. Es war Bazon Brock’s „Besucherschule“, der ausführliche schriftliche Führer durch die weltberühmte Ausstellung. Moderne Reklame für Moderne Kunst.

 

1983 wurden aus den Studenten examinierte Grafik-Designer. Sie machten einen Zukunftsplan für Moderne Reklame; darin war für Kassel kein Platz mehr, jetzt war Frankfurt angesagt. Die (damals noch) Werbehauptstadt der Republik, die für die Zukunft auch kulturell einiges versprach, schien erfolgverheißender als die nordhessische Provinz. Der Plan war: Nach Frankfurt gehen, ein Jahr lang in unterschied­lichen Werbeagenturen Erfahrungen sammeln, dann das neue Wissen in den Dienst der Modernen Reklame stellen.

 

Ein schöner Plan. Theoretisch. Einer der diplomierten Grafik-Designer erholte sich erstmal in Ostasien vom Prüfungsstress. Durch einen Luftpostbrief erfuhren seine Mitstreiter bald, daß alte Kulturen mehr fesseln können als Moderne Reklame. Ein anderer kam bei einer Frankfurter Agentur unter, die sich wie Moderne Reklame einer Verbindung von Werbung und Kunst bzw. Design verschrieben hatte. Es gefiel ihm dort ausgesprochen gut. Pech für Moderne Reklame. Ein dritter pendelte zunächst immer noch nach Kassel, um dort einen Kunden der Modernen Reklame vor Ort zu betreuen. Kundenbetreuung? Als Grafik-Designer? Er merkte bald: Das war seine Sache nicht. Aber ohne Kundenbetreuung ist Reklame nun mal nicht zu machen, auch moderne nicht.

 

Da waren es nur noch zwei. Die arbeiteten in verschiedenen internationalen Agenturen als feste freie Mitarbeiter, und nach einem Jahr — passierte erstmal gar nichts. Wie bereits erwähnt war der Zukunftsplan Theorie; in der Praxis dauerte das Sammeln von Erfahrungen 5 Jahre. Und die Erfahrungen sollten sich nicht nur auf Werbung beschränken: 1986 kamen Lehraufträge für konzeptionelle Fotografie im Fachbereich Design der FH Bielefeld dazu. Aber dann — 1988 — war es soweit: Karl Müller und Gabi Koloss gründeten die Moderne Reklame neu.

 

Moderne Reklame ist ein Begriff in Frankfurt geworden. In der Werbung mit Corporate Design, Anzeigen, Programmen und Plakaten für die unterschiedlichsten Firmen und Institutionen, aber auch mit Unternehmenskommunikation für größere Dienst­leister. In der Kunst mit zahlreichen Plakaten für Ausstellungen, der Publikation zum 1Ojährigen Bestehen des „Portikus“, aber auch mit eigenen Ausstellungen. Moderne Reklame ist Design, Text, Beratung und Fotografie.

 

Moderne Reklame ist in Bildern denken, in Bildern erzählen. Moderne Reklame ist Werbung und Kunst. Was schon im Tante-Emma-Laden in Kassel Programm war, ist es noch heute — nur eben eine Nummer größer, in der Kleinmarkthalle in Frankfurt.

 

Seit 1993 ist Karl Müller Professor für Visuelle Kommunikation an der FH Bielefeld. Zurück bei den Studenten. Heute gibt es DJ Bobo und Celine Dion, aber vielleicht hören einige ja trotzdem wieder Punk und New Wave. Schließlich, wir erinnern uns, werden die 80er Jahre gerade modern.

 

Moderne Reklame ist ein Kind der 80er. Sie ist modern, aber nicht im Sinne von der Mode entsprechend, sondern im Sinne von zeitgemäß. Also eher klassisch modern. Sonst hieße sie nämlich Postmoderne Reklame und wäre in den letzten 10 Jahren total out gewesen.

unveröffentlicht: Ulli Zahn für Moderne Reklame, 2000